Sonntag, 18. Dezember 2016

Die gute, alte Zeit

Wie oft habe ich meine Mutter und meine Großmutter über die gute, alte Zeit
reden hören. Über die Zeit nach dem Krieg, als es wieder aufwärts ging und
die Menschen voller Zuversicht in die Zukunft blickten. Als Kind oder Teenager
hatte ich keine Vorstellung davon, wie diese "gute, alte Zeit" wohl gewesen sein
mochte.
 
Winterfrieden - wie aus der guten, alten Zeit
 
*
 
Meine Großmutter wurde 1895 geboren. Sie hat also gleich zwei Weltkriege
miterlebt. Meine Mutter, 1920 geboren, hat zwar "nur" den 2. Weltkrieg als
junge Frau erlebt, aber es waren Kriegszeiten, die man wohl kaum als "gute,
alte Zeiten" beschreiben konnte.
Welche Zeit meinten sie also, wenn sie von der "guten, alten Zeit" sprachen ?
Was war es, was sie an der "guten, alten Zeit" so schätzten ? Es mag ja sein,
dass alles etwas ruhiger und gemächlicher zuging, aber komfortabel war diese
Zeit ganz sicher nicht. Vieles war sehr beschwerlich und die Arbeiten körperlich
anstrengend. Das hat sich im Zuge des technischen Forstschrittes im
vergangenen Jahrhundert ganz wesentlich verbessert - insbesondere im
medizinischen Bereich. Aber auch die Hausarbeiten wurden durch entsprechende
Geräte und Maschinen so nach und nach enorm erleichtert. Man denke nur an
die Waschmaschine, den Kühlschrank, den Staubsauger, die Heißwasser-
bereiter und Heizung. Der Komfort und eine deutliche Verbesserung und
Erleichterung nahmen auch in der Arbeitswelt zu. Die Folgeschäden für die
Umwelt und das Klima durch die Produktion all dieser Güter und die der
Automobile, wurden zu der damaligen Zeit allerdings nicht bedacht.
  
   
Eine friedliche Winter-Weihnachtswelt, wie ich sie als Kind noch erleben durfte.
Welch' ein Glück und welch' eine kostbare Erinnerung !
 
*
 
Welche Zeiten meinten sie also, wenn sie von der "guten, alten Zeit" sprachen.
Eine Zeit, wie auf den obigen Postkarten ? Wenn ich heute auf mein Leben
zurückblicke, dann würde ich die Zeit bis vor ein paar Jahren, auch als gute,
alte Zeit bezeichnen, weil ich sie als unbeschwert, sorglos und unbekümmert
empfunden habe. In der Nachkriegszeit, als Kind, empfand ich die Zeit ganz
besonders behaglich und kuschelig, obwohl wir im Vergleich zu heute, wirklich
nicht viel besaßen. Anders als viele Menschen heute, waren wir damals aber mit
dem was wir besaßen, zufrieden. Damals, nach dem Krieg, nahm die Lebens-
qualität von Jahr zu Jahr zu, während sie heutzutage durch den Werteverlust,
die Verrohung der Gesellschaft und die zunehmende Verunsicherung in der
Bevölkerung mehr und mehr abnimmt.
 
Auch später, als junge Frau, konnte ich mich überall frei bewegen, verreisen
und abends bedenkenlos mit einer Freundin unterwegs sein, ohne mich einer
Gefahr ausgesetzt zu fühlen. Inzwischen höre ich von vielen jungen Frauen,
dass sie sich abends nicht mehr alleine auf die Straße wagen. Das ist ein
massiver Einschnitt in unser freiheitliches Leben.
 
In dem Zusammenhang bin ich mehr als erleichtert, dass man diesen Widerling
von Treppentreter endlich geschnappt hat und hoffe, man sperrt ihn für etliche
Jahr hinter Gitter.
 
Die "gute, alte Zeit", wie ich sie noch bis vor ein paar Jahren kannte, scheint
vorbei zu sein. Die Menschheit scheint sich in die gegenteilige Richtung zu
bewegen, aus der es kein Zurück mehr gibt. Stress und Hektik nehmen zu.
Viele Menschen scheinen nur noch durch ihr Leben zu hetzen. So, als seien
sie auf der Flucht - der Flucht vor sich selbst. Seit Menschen sich vom
technischen Fortschritt abhängig gemacht haben, führen die meisten von
ihnen ein Leben auf der Überholspur. Alles muss schnell-schnell gehen, ja
nichts versäumen, alles mitnehmen. Das macht krank. "Zeit" ist zu einem
kostbaren Gut geworden. Ein Gut, über das kaum noch jemand in
ausreichendem Maße verfügt.
 
Auch die Zeit, in der wir in diesem Land wie auf einer Insel der Glückseligen
in Frieden und Freiheit leben und uns wohl und sicher fühlten konnten, ist
inzwischen Geschichte. Krisenherde gab es zwar immer irgendwo auf der Welt
und wird es immer wieder geben, aber diese Krisen waren irgendwie weit weg,
nicht so nah, nicht so bedrohlich.
 
 Wenn ich aus heutiger Sicht auf mein Leben zurückblicke bin ich sehr dankbar,
in einer für mich "guten, alten Zeit" - die ich aus heutiger Sicht immer auch mit
einem Hauch von Nostalgie in Verbindung bringe - gelebt zu haben.
Vielleicht sind heutzutage ganz einfach die Werte verlorengegangen, der
Respekt der Menschen voreinander, der Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Viele Menschen blicken heutzutage im Gegensatz zu früher, als es nach dem
Krieg wieder aufwärts ging, eher zurecht sorgenvoll in die Zukunft.
 
Ja, aus meiner Sicht gab es sie einmal, die "gute, alte Zeit" !
Doch vielleicht ist es auch nur die Sehnsucht nach dieser einstmals zivilisierten
Gesellschaft. Eine Gesellschaft ohne diese Verrohung, ohne den Werteverfall.
Die Sehnsucht nach einer Gesellschaft, die nicht von Stress und Hektik
getrieben, von Hab- und Profitgier beherrscht, vom Konsumzwang besessen
und von Respektlosigkeit geprägt ist. Eine Gesellschaft die nicht krank ist
und krank macht, sondern in der es Gerechtigkeit gibt und Tugenden, wie z.B.
Höflichkeit, Respekt und Rücksichtnahme noch von Bedeutung waren.
 
Gleichzeitig frage ich mich, ob Generationen nach uns, auch jemals
Erinnerungen an eine "gute, alte Zeit" haben werden ?
 
Die jetzige Zeit, in der Hass, Gewalt, Brutalität, Kriminalität, Chaos und
Unsicherheit immer mehr zunehmen, wird man später wohl kaum als
gute, alte Zeit bezeichnen können.
 
*
 
Obige Karten stammen übrigens noch aus der "guten, alten Zeit"
nämlich von meiner Mutter und Großmutter.
 
~*~
 
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2 Kommentare:

  1. Die zwei Karten sind herrlich. Eine Stimmung, da wird mir sofort warm ums Herz. Dass ich so empfinden kann und diese Gefühle sofort in mir spüre, dafür bin ich von ganzem Herzen dankbar. Ich denke, es gibt fast nichts Wertvolleres als diese Fähigkeit. Diese Gefühle beim Betrachten, beim Musikhören ... etc. ... das ist so wundervoll und tröstend.

    Ich habe auch so viele alte Karten und Bilder gesammelt, auch Zeitschriften mit schönen Naturaufnahmen, weihnachtsvollen Stimmungen. Beim Betrachten kann ich die guten Gefühle abrufen, welch ein Glück. Ich dachte das sofort, als ich diese zwei schönen Kartenmotive sah, liebe Laura. Danke dir sehr fürs Zeigen.

    Gute alte Zeit ... ja, dazu gehören diese Gefühle, ganz gleich, in welchen Zeiten empfunden. Ich denke, es liegt einfach auch an den oder dem Menschen selbst, wie er was empfindet. Wir waren im Verhältnis zu heute auch bitter arm und doch war ich als Kind so glücklich in dieser Zeit.
    Kennst du die Serie "Weihnachtsgeschichten am Kamin"? Da beschreiben sehr viele die Weihnachten als die schönsten, als es karg zu ging und die kleinsten Dinge wahre Glücksexplosionen hervorriefen.

    Liebe Laura, das andere Thema lasse ich mal außen vor, sonst erlischt der kleine Hoffnungsschimmer in mir. Wenigstens in dieser Zeit möchte ich das andere einfach mal vergessen.

    Ein ganz lieber Abendgruß zu dir,
    Andrea

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  2. "Weihnachtsgeschichten am Kamin" kenne ich leider nicht, liebe Andrea, aber das lässt sich bestimmt ändern.
    Weihnachten in der Kindheit war wirklich mit sehr vielen Glücksmomenten und viel Freude verbunden.
    Heute möchte man manchmal den Reset-Button drücken, um sich zurück in die gute, alte Zeit zu versetzen. Gut, dass wir das mit unserer Erinnerung können !

    Was die Nachrichten betrifft, stimme ich dir zu. Hier sollte man tatsächlich viel öfter den Aus-Schalter betätigen, aber das Chaos ist nun mal da und so ganz verdrängen lässt es sich leider nicht - auch wenn ich es jeden Tag versuche.
    Schön, dass du das kannst !
    In diesem Sinne hab eine gute Weihnachtswoche und freue dich auch das Fest !
    Liebe Grüße sind auf dem Weg zu dir von
    Laura, die sich heute wieder auf das Plätzchen backen freut :o)

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Danke für Deinen Kommentar. Ich freue mich sehr, dass Du Dir die Zeit für ein paar nette Worte nimmst.

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